Die Macht der Worte: wie Sprache unsere Wahrnehmung beeinflusst

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem gemütlichen Restaurant und studieren erwartungsvoll die Speisekarte. Ihre Augen bleiben an zwei verschiedenen Beschreibungen für das gleiche Gericht hängen: «Gourmet-Ratatouille mit Aromen des Mittelmeers» und «Köstlicher Gemüseauflauf». Beide Gerichte enthalten die gleichen Zutaten – Zucchetti, Auberginen, Peperoni und Tomaten – doch die Art, wie sie beschrieben werden, hat einen enormen Einfluss auf Ihre Wahl.

Wenn Sie «Gourmet-Ratatouille mit Aromen des Mittelmeers» lesen, stellen Sie sich vielleicht ein kunstvoll angerichtetes Gericht vor, das mit frischem Thymian, Rosmarin und Basilikum verfeinert ist. Sie hören schon das Zirpen der Grillen und spüren die warme Abendsonne auf Ihrer Haut. Gedanklich befinden Sie sich im Patio einer kleinen Trattoria an der Adria und Ihr Gaumen freut sich schon auf die raffinierte Delikatesse.

«Köstlicher Gemüseauflauf» suggeriert hingegen ein eher bodenständiges und vertrautes Gericht, das sich auf einfache, aber geschmackvolle Art präsentiert. Sie kuscheln sich beim Essen in eine Wolldecke, weil es auf der Terrasse des Restaurants frisch geworden ist. Das Soulfood gibt Ihnen ein Gefühl von Geborgenheit und wärmt von innen.

Dieses Beispiel verdeutlicht, wie mächtig die Wahl der Worte ist, wenn es darum geht, unsere Wahrnehmung und unsere Entscheidungen zu beeinflussen. Obwohl es sich um dasselbe Gericht handelt, erzeugen die unterschiedlichen Beschreibungen ganz unterschiedliche Bilder und Erwartungen.

Wie Sprache unsere Wahrnehmung beeinflusst

Wählen Sie Ihre Worte mit Bedacht

Worte sind mehr als bloss Träger von Informationen – sie haben die Fähigkeit, unsere Gedanken, unser Verhalten und unsere Wahrnehmung auf tiefgreifende Weise zu beeinflussen. Und wir müssen Ihnen nicht sagen, dass insbesondere in der Welt des Marketings und der internationalen Kommunikation eine sorgfältige Wahl der Worte von entscheidender Bedeutung ist. Manchmal ist der Bedeutungsunterschied nur gering. Hier ein paar Beispiele.

Häppchen oder Snacks?

Möchten Sie auf Ihrer nächsten Gartenparty lieber Häppchen oder Snacks servieren? Die beiden Begriffe können unterschiedliche Erwartungen hervorrufen und den Rahmen des Fests bestimmen. Wenn Sie gedenken, Häppchen zu kredenzen, erscheinen Ihre Gäste wahrscheinlich in heller Chino und Plisseerock. Häppchen klingen edel und hochwertig, ideal für exquisite Feiern. Locken Sie Ihre Gäste hingegen mit Snacks, kommen sie wahrscheinlich in Jeans und Birkenstock. Der Begriff Snacks wirkt alltäglicher und informeller.

Kostenlos oder ohne Kosten?

Würden Sie sich lieber etwas Kostenloses gönnen oder doch eher etwas ohne Kosten in Anspruch nehmen? Stellen Sie sich vor, Sie sehen zwei Angebote für eine neue Tagescreme: Kostenlose Probe und Probe ohne Kosten. Finden Sie auch, dass «kostenlos» verlockender klingt und das Gefühl vermittelt, ein besonderes Angebot zu erhalten? Das allein zaubert schon Denkfalten weg. «Ohne Kosten» wirkt dagegen nüchterner, fast schon wie ein technisches Detail.

Premiumauto oder Luxuslimousine?

Sie merken hier bestimmt, wo der Hase lang läuft. Die beiden Begriffe «Premium-» und «Luxus-» sind bedeutungsähnlich, vermitteln aber doch unterschiedliche Botschaften. Ein Premiumfahrzeug spricht den Kenner an, der auf Leistung und Verarbeitung Wert legt – es ist hochwertig, aber nicht protzig. Ein Luxusauto hingegen zeugt von Prestige und Wohlstand, es verkörpert das Aussergewöhnliche und setzt ein Statement. Beide Optionen klingen reizvoll, doch die Wortwahl bestimmt, wie das Produkt wahrgenommen wird – und wie tief Sie in die Tasche greifen müssen.

Erschwinglich oder budgetfreundlich?

Die Wahl zwischen «erschwinglich» und «budgetfreundlich» verändert den Eindruck von einem Angebot. «Erschwinglich» wird oft als positiver angesehen, weil es einen fairen Preis ohne negative Konnotationen suggeriert. Es schwingt mehr Leichtigkeit mit. Der Fokus wird auf das gute Preis-Leistungs-Verhältnis gelegt. «Budgetfreundlich» kann hingegen Einschränkungen und geringere Qualität vermitteln. Auf der neuen Matratze liegt es sich nicht wie auf Wolke sieben, aber ihr Kauf hat Ihnen auch nicht den Schlaf geraubt.

Innovativ oder revolutionär?

«Innovativ» und «revolutionär» sind Begriffe, die unterschiedliche Grade der Veränderung suggerieren. «Innovativ» deutet auf fortschrittliche, neue Ideen hin, während «revolutionär» extreme und grundlegende Veränderungen impliziert. Apple verwendet oft «revolutionär», um Produkte wie das iPhone zu bewerben. Es vermittelt das Gefühl von Durchbrüchen und bahnbrechender Technologie.

Empfehlung oder Vorschlag?

Eine Empfehlung kommt dem Geheimtipp einer Freundin gleich, die Ihnen versichert, dass Sie sich unbedingt die neue Serie auf Netflix anschauen müssen – das sollten Sie auf keinen Fall verpassen. Ein Vorschlag ist eher wie ein lockeres «Wie wäre es, wenn wir heute Abend ins Kino gehen?» – Sie können entscheiden, ob Sie Lust darauf haben oder nicht.

Feine Nuancen richtig in die Fremdsprache übertragen

Kleine, feine Unterschiede gibt es natürlich nicht nur im Deutschen, sondern auch in anderen Sprachen. Gute Übersetzerinnen und Übersetzer haben einen Blick dafür und übertragen sie gekonnt in die Fremdsprache. So sind die englischen Begriffe «sophisticated» und «state-of-the-art» auf den ersten Blick sehr ähnlich, betonen jedoch subtil unterschiedliche Dimensionen von Exzellenz. «Sophisticated» wird im Zusammenhang mit Raffinesse und Eleganz gebraucht, die Ästhetik steht im Vordergrund. Im Gegensatz dazu bezeichnet «state-of-the-art» die höchste Stufe technologischer Innovation, die aktuell verfügbar ist. Hier steht die zeitgemässe technische Überlegenheit im Vordergrund.

Transkreation: wenn Botschaften neu eingekleidet werden

Manchmal ist auch eine Transkreation notwendig, um die gleiche Botschaft zu vermitteln. Darunter versteht man die kreative Anpassung eines Texts, um ihn in einer anderen Sprache beziehungsweise Kultur ebenso wirkungsvoll zu machen wie im Original. Ein praktisches Beispiel wäre die Anpassung eines Werbeslogans, der in einer Sprache vielleicht spielerisch und einprägsam ist, in einer anderen jedoch nicht die gleiche Wirkung hat. Nehmen wir den Slogan «Finger lickin’ good» von KFC. Während dieser Ausdruck im Englischen schmackhaft klingt, musste er beispielsweise für den chinesischen Markt neu gedacht und angepasst werden. Denn die wörtliche Übersetzung ins Chinesische lautet: «Iss deine Finger auf», was natürlich nicht den gewünschten Appetit anregt.

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Nadia Gaille
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