Bei den Sozialversicherungen den Durchblick zu haben, ist gar nicht so einfach. Nur schon die ganzen Abkürzungen – AHV, IV, EO, ALV, UVG, KTG und wie sie alle heissen. Die beste Übersicht bekommen wir sicher, wenn wir auf der obersten Ebene beginnen. Dort ist das Schweizer Sozialversicherungssystem in fünf Bereiche unterteilt:
- Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge
- Schutz vor Folgen einer Krankheit und eines Unfalls
- Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft
- Arbeitslosenversicherung
- Familienzulagen
Wir versuchen mal, zu jedem dieser fünf Bereiche die wichtigsten Infos zusammenzutragen.
Drei Säulen, die im Alter tragen
Bei der Altersvorsorge wird’s bereits etwas komplizierter, denn die berühmte AHV ist nur eines von drei Vorsorgewerken, die uns im Alter finanziell unter die Arme greifen sollen. Man spricht in der Schweiz vom «3-Säulen-System»:
- Die Säule ist die staatliche Vorsorge in Form der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), der Invalidenversicherung (IV) und der Erwerbsersatzordnung (EO). Wie ihr seht, beginnen sich die Bereiche bereits zu überschneiden – aber item. Die 1. Säule wird im Umlageverfahren finanziert, das heisst: Wer jetzt Beiträge bezahlt, finanziert die Renten derer, die aktuell in Pension sind. Die 1. Säule ist auch für Selbstständigerwerbende obligatorisch.
- Da die AHV zum Leben im Alter kaum ausreicht, wurde mit der Säule eine berufliche Vorsorge eingerichtet: die Pensionskassen (PK). Hier wird über Lohnabzüge ein persönliches Guthaben angespart, und zwar steuerfrei. Bei der Pensionierung kann man das Kapital entweder sofort oder in Form einer Rente beziehen. Angestellte sind obligatorisch bei der Pensionskasse ihres Arbeitgebers versichert, für Selbstständigerwerbende ist die PK hingegen freiwillig.
- Die Säule stellt die private Vorsorge dar und ist völlig freiwillig. Hier kann man sich ein zusätzliches Altersguthaben aufbauen und dabei Steuern sparen: Die Einzahlungen können vom Einkommen abgezogen werden, und das angesparte Kapital zählt nicht zum steuerbaren Vermögen. Alles, was ihr dazu braucht, ist ein Säule-3a-Konto bei eurer Bank. Die Höhe der Einzahlungen könnt ihr selbst bestimmen – bis zu einer bestimmten Obergrenze, die nicht überschritten werden darf, sonst beklagt sich die Steuerverwaltung. Der Maximalbetrag wird jedes Jahr angepasst und beträgt für Nicht-Pensionskassenversicherte im Jahr 2022 CHF 34 416.–, jedoch nie mehr als 20 Prozent des Erwerbseinkommens.
Kniffliges zur AHV
Sobald jemand ein Angestelltenverhältnis verlässt, um sich selbstständig zu machen, ist eine Anmeldung bei der Ausgleichskasse des Wohnkantons fällig. Damit diese die Selbstständigkeit anerkennt, müssen jedoch gewisse Bedingungen erfüllt sein. So muss man belegen können, dass man mehrere Kunden hat und diesen in eigenem Namen Rechnung stellt. Ein Kunde reicht nicht aus, denn da wittert die Ausgleichskasse schnell eine Scheinselbstständigkeit.
In der Praxis heisst das, dass man in der Regel erst ein paar Monate selbstständig arbeiten muss, bevor man sich bei der Ausgleichskasse anmelden kann. Zu lange aufschieben sollte man es allerdings nicht, denn sonst drohen Beitragslücken. Und sowieso werden die meisten Kunden früher oder später eine Bestätigung darüber verlangen, dass ihr bei einer Ausgleichskasse als Selbstständigerwerbende gemeldet seid. Die Situation erinnert an ein «Catch-22»: ohne Kunden keine AHV-Bestätigung und ohne Bestätigung keine Kunden. Doch Panik ist nicht angebracht: In der Praxis werdet ihr mit euren ersten Kunden eine Frist aushandeln können, innerhalb derer ihr euch bei der Ausgleichskasse anmeldet und die Bestätigung beantragt.
Pro-Tipp: Der Kontakt mit den Ausgleichskassen lässt sich zunehmend online abwickeln. So können zum Beispiel im Kanton Luzern Gemeldete bei WAS Luzern einen Auszug aus ihrem individuellen AHV-Konto bestellen, um zu prüfen, ob Beitragslücken bestehen. Die meisten anderen Kantone bieten mit AHVeasy ein persönliches Portal, wo man unter anderem jedes Jahr seine aktuelle AHV-Bestätigung bestellen kann – wenn man denn weiss, wo man suchen muss. (Psst: unter «Persönliche Angaben» …)
Krankheit und Unfall
Eine Krankenkasse, die uns vor allzu hohen Arzt- und Spitalkosten bei Krankheit schützen soll – und uns dafür je nachdem happige Prämien in Rechnung stellt –, ist in der Schweiz obligatorisch. Anders sieht es mit der Unfallversicherung aus: Als Angestellter bin ich zwar automatisch über meinen Arbeitgeber unfallversichert, doch sobald ich nicht mehr angestellt bin, verliere ich den Versicherungsschutz. Die Lösung liegt hier jedoch nahe, denn man kann sich bei jeder Krankenkasse ganz einfach zusätzlich gegen Unfall versichern lassen.
Schwieriger wird’s dann aber, wenn ich mich frage, wer mir im Krankheitsfall den Lohn weiterzahlt? Angestellte haben es hier wiederum einfach: Der Arbeitgeber zahlt ihnen auch dann den Lohn, wenn sie krank sind, und schützt sich vor diesem Risiko meist mit einer Krankentaggeldversicherung. Doch wie machen das eigentlich Freischaffende?
Natürlich werden auch Einzel-Krankentaggeldversicherungen angeboten. Am besten wendet ihr euch an die Versicherung eures Vertrauens und lasst euch beraten. Einige Variablen, die hier mit reinspielen:
- Wie hoch ist dein Einkommen? (Bei tiefem oder stark variierendem Einkommen ist es möglicherweise besser, eine fix definierte Summe zu versichern.)
- Wie alt bist du? (Je älter du bist, desto schwieriger wird’s.)
- Wie gesund bist du? (Je nachdem musst du eine Gesundheitsprüfung bestehen, um aufgenommen zu werden.)
- Nach wie vielen Tagen soll ein Krankentaggeld ausgezahlt werden (Karenzfrist)?
- Welche Prämie kannst oder willst du dir leisten?
Eine gute Zusammenfassung der Thematik findet ihr bei Comparis.
Pro-Tipp: Wenn ihr ein Angestelltenverhältnis verlasst, um euch selbstständig zu machen, könnt ihr innert 30 Tagen ohne Gesundheitsprüfung von der Kollektiv-Taggeldversicherung des Arbeitgebers in die Einzel-Taggeldversicherung wechseln.
Erwerbsersatz
Die Erwerbsersatzordnung (EO) gibt auch Selbstständigerwerbenden einen Anspruch auf Erwerbsersatz, wenn sie zum Armee- oder Zivil- oder Zivilschutzdienst einrücken. Ihr bekommt am Einsatzort eine EO-Meldekarte, die ihr an eure Ausgleichskasse schickt. Das war’s auch schon.
Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung haben Mütter, die vor der Geburt mindestens 9 Monate lang AHV-versichert waren. Die Entschädigung wird ab dem Tag der Geburt so lange ausbezahlt, bis ihr wieder zu arbeiten beginnt – längstens jedoch für 14 Wochen. Um die Entschädigung zu erhalten, müsst ihr sie beantragen: Das entsprechende Formular könnt ihr online ausfüllen und abschicken.
Weiterführende Informationen zur Erwerbsersatzordnung findet ihr auf der Website der AHV/IV.
Familienzulagen
Als Eltern habt ihr ab der Geburt eures Kindes bis zu seinem vollendeten 16. Altersjahr Anspruch auf Familienzulagen. Danach erhaltet ihr auch für Kinder in Ausbildung oder Kinder, die aus gesundheitlichen Gründen erwerbsunfähig sind, Unterstützung. Zuständig ist die kantonale AHV-Ausgleichskasse. Bei Angestellten ist der Arbeitgebende für die Beantragung der Kinderzulagen zuständig, Selbstständigerwerbende müssen sie direkt bei der Ausgleichskasse beantragen.
Wie seht ihr das Ganze?
Welche Erfahrungen habt ihr mit dem Schweizer Sozialversicherungssystem gemacht? Habt ihr Tipps, die ihr mit uns teilen möchtet?
Wir freuen uns auf eure E-Mails an freelance@apostrophgroup.ch.