Nix bleibt, wie es ist
Alles ist im Fluss, die Sprache ganz besonders. Da überrascht es nicht, dass Sprachen sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln, wenn sie aus geografischen, politischen, gesellschaftlichen oder anderen Gründen getrennte Wege gehen können. So sind nicht nur die verschiedenen Sprachen, sondern auch die regionalen Sprachvarietäten entstanden.
Zu Letzteren gehört auch das in der Schweiz gebräuchliche Standarddeutsch. Es ist zwar für Bundesbürger und Österreicher durchaus noch verständlich – im Gegensatz zum «Schwyzerdütsch», dem Sammelbegriff für die regionalen Varianten der Deutschschweizer Dialektsprache. Es hat sich jedoch einige typisch helvetische Eigenarten zugelegt, die bei Nicht-Einheimischen je nachdem für Erheiterung oder für blankes Unverständnis sorgen können.
Königliches Vorrecht eines Demokraten
Friedrich Dürrenmatt soll wegen seiner Verwendung typisch schweizerischer Ausdrücke mit seinem deutschen Verlagslektor im Dauerstreit gelegen haben. Um die Diskussion ein für alle Mal zu beenden, liess er in seiner Komödie «Romulus der Grosse» den römischen Kaiser sein «Morgenessen» bestellen. Der Diener korrigiert: «Das Frühstück.» Doch der Kaiser besteht darauf: «Das Morgenessen. Was in meinem Hause klassisches Latein ist, bestimme ich.»
Seit der Uraufführung des Stücks 1949 hat sich einiges getan, und die Auffassung, eine bestimmte Varietät einer Sprache sei den anderen überlegen, ist – auch unter dem Einfluss der Soziolinguistik – inzwischen stark auf dem Rückzug. Wenn wir uns hier kurz mit unterhaltsamen Beispielen für Helvetismen vergnügen, so ist uns bewusst, dass wir dasselbe auch mit den Eigenheiten des Bundesdeutschen oder des Österreichischen tun könnten.
Spaziergang durch den Helvetismen-Garten
Da wir es gerade mit einem Monarchen zu tun hatten: Das (auch für meine Eingeborenen-Ohren) seltsame Wort «Abdankung» bezeichnet in der Schweiz nicht den Rücktritt eines Würdenträgers, sondern eine Trauerfeier. Als Synonym für «sterben» schien mir «abdanken» schon immer allzu salopp. Tatsächlich ist hier gemäss dem Schweizerischen Idiotikon eine «abschliessende Danksagung» gemeint. Ins gleiche Bedeutungsfeld wie «abdanken» – jetzt im Sinne von zurücktreten – gehört das Wort «Putsch»: ein Schweizer Wort, das eine internationale Karriere hingelegt und sich nicht nur im Deutschen, sondern auch in diversen anderen Sprachen (Französisch, Italienisch, Englisch …) etabliert hat.
Eine andere Kategorie sind die lautmalerischen und bildlichen Ausdrücke, zum Beispiel:
- «Das löscht mir ab»: Etwas nimmt mir die Lust, die Energie, das Feuer.
- «Eis go zieh»: physikalisch ziemlich präzise Beschreibung des Trinkvorgangs, bei dem man sich ja normalerweise die begehrte Flüssigkeit nicht wirklich «hinter die Binde kippt», wie man in Deutschland gern sagt, sondern vielmehr das Trinkgefäss an die Lippen setzt und den Trank mithilfe eines leichten Vakuums in den Mund «zieht».
- «Töff»: Motorrad; lautmalerisch, aus der Kindersprache. Man könnte an sich auch «Brumm-brumm» sagen, bloss hat sich das nie durchgesetzt.
Auch wer den «Estrich ausmistet», gibt seine sprachliche Herkunft klar zu erkennen: Zwar wird durchaus auch in unserem nördlichen Nachbarland bisweilen ein Schrank oder ein Schreibtisch ausgemistet, einem Estrich wird diese Behandlung hingegen selten zuteil, denn der bezeichnet nur in der Schweiz den Dachboden. In Deutschland ist damit zwar ebenfalls ein Teil des Hauses gemeint, allerdings ein ganz anderer: der Fussboden, genauer ein «auf das Fundament aufgetragener, begradigender, wärme- und schalldämmender Untergrund für den abschliessenden Bodenbelag». Viel Raum für Verwirrung bei den Handwerkern unter den Grenzgängern …
Wörter als Grenzgänger
Viele Helvetismen haben ihren Ursprung im Französischen: Apéro (Aperitif), Bébé (Säugling), merci (danke), Parterre (Erdgeschoss), Portemonnaie (Brieftasche), retour (zurück), Trottoir (Bürgersteig), Velo (Fahrrad) – wohlgemerkt alle mit der charakteristischen Betonung auf der ersten Silbe. Der Reichtum an französischen Lehnwörtern ist zum Teil auf die geografische Nähe und den Status des Französischen als Landessprache zurückzuführen. Französisch war aber auch jahrhundertelang Weltsprache und die Sprache des Adels. In gewissen Städten wie Basel und Bern «parlierte» die Oberschicht deshalb gern Französisch. So kennt der Basler Dialekt so witzige Begriffe wie das «Geleretli» (Taschenuhr, von «quelle heure est-il») oder den «Bareblü» (Regenschirm, von «parapluie»), die es jedoch leider nie in den Wortschatz der Standardsprache geschafft haben.
Hilfsmittel: Helvetismen bei der Arbeit
Erste Anlaufstelle beim Übersetzen von typisch schweizerischen Begriffen ist die Helvetismen-Liste von Apostroph: Ihr findet sie im Knowledge Portal auf myFREELANCE unter «Auftragshilfen». Darüber hinaus ist auch der gute alte Duden eine Hilfe, der eine Fülle von schweizerischen Wortvarianten verzeichnet (auch die Schweizer Bedeutung von «Abdankung» ist dabei). Und wenn ihr euch aktiv darin üben wollt, Helvetismen zu erkennen, dann versucht euch mal am Quiz des Zürcher Tages-Anzeigers. Das ist gerade auch für uns Einheimische, die wir ja in diesem Sprachbiotop aufgewachsen sind, eine gute Übung. Viel Spass!
Welche Erfahrungen habt ihr mit Helvetismen gemacht? Welches sind eure Lieblingswörter? Wir freuen uns auf eure Rückmeldung per E-Mail an freelance@apostrophgroup.ch.