Dolmetschen: Wie geht das?

Beim schriftlichen Übersetzen gehört es zum Handwerk, auch mal länger an einer Formulierung zu schleifen oder das Synonymwörterbuch beizuziehen. Dolmetscherinnen und Dolmetscher leben da in einer ganz anderen Welt: Sie kennen Zeitdruck einer höheren Dimension.

Illustration dolmetschen

Ein altehrwürdiger Beruf

Wir Übersetzerinnen und Dolmetscher üben vielleicht nicht das älteste Gewerbe der Welt aus, doch ohne Zweifel eines der ältesten. Gemäss gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen soll schon 48 Stunden nach der babylonischen Sprachverwirrung (1 Mose, 11,7–9) die erste Übersetzungsagentur ihre Tore geöffnet haben – ein Ereignis, das es bedauerlicherweise nicht ins Alte Testament geschafft hat.

Dass es im alten Ägypten schon Dolmetscher gab, ist hingegen historisch belegt, und eine Dolmetscherin, die Anfang des 16. Jahrhunderts für die spanischen Eroberer arbeitete, ist sogar mit Namen bekannt: Die aztekische Sklavin Malinche wurde 1519 Dolmetscherin des Konquistadoren Hernán Cortés. Da sie erst noch kein Spanisch konnte, übersetzte sie aus der Maya-Sprache ins Aztekische, und ein weiterer Dolmetscher übersetzte dann ins Spanische – ein frühes Beispiel für das sogenannte «Relaisdolmetschen».

Die mündliche Übersetzung gesprochener Sprache kommt heute in verschiedenen Spielarten vor. Vier der wichtigsten sind:

  • Konsekutivdolmetschen
  • Simultandolmetschen
  • Flüsterdolmetschen (frz. «chuchotage»)
  • Verhandlungsdolmetschen

Konsekutivdolmetschen: Die wohl älteste Dolmetschart

Beim Konsekutivdolmetschen spricht eine Rednerin erst etwa 10 bis 15 Minuten, bevor der Dolmetscher das Gesagte übersetzt. Auch wenn es dabei weniger um eine wörtliche als um eine sinngemässe Übersetzung geht, ist dafür dennoch ein gutes Gedächtnis und geistige Flexibilität nötig. Hilfreich ist es, wenn der Dolmetscher die Reden oder Hintergrundinformationen schon im Vorfeld erhält, denn nicht jeder kann mit der einen Hand Notizen nehmen und zugleich mit der anderen schnell etwas googlen …  

 

Simultandolmetschen: Multitasking auf höchstem Niveau

Das Simultandolmetschen kommt vor allem bei Konferenzen zum Einsatz. Dabei wird das gesprochene Wort praktisch in Echtzeit in eine andere Sprache übersetzt und an die Kopfhörer der Konferenzteilnehmenden übertragen. Die Dolmetscherin sitzt dabei in einer schalldichten Kabine und hört die Redenden ihrerseits über Kopfhörer.

Simultandolmetschen ist extrem anstrengend und erfordert ein Höchstmass an Konzentration. Es geschieht daher immer in Teams von mindestens zwei Dolmetschenden, die sich nach jeweils einer halben Stunde Arbeit gegenseitig ablösen. Obwohl sie Höchstleistungen erbringen, stehen sie nie im Rampenlicht: Am besten machen sie ihre Arbeit, wenn man sie kaum bemerkt.

 

Flüsterdolmetschen: Einflüsterungen aus dem Hintergrund

Flüsterdolmetschen ist eigentlich eine Variante des Simultandolmetschens, funktioniert jedoch ohne aufwendige technische Ausrüstung. Der Dolmetscher sitzt dabei während einer Besprechung oder eines Anlasses neben oder hinter den Zuhörerinnen und Zuhörern und flüstert ihnen die Übersetzung ins Ohr. Bei einer grösseren Zahl an Teilnehmenden stösst das klassische Flüsterdolmetschen naturgemäss schnell an seine Grenzen. In Situationen, in denen eine Dolmetschanlage mit schalldichter Kabine keine Option ist – zum Beispiel bei einer Führung, bei der das Publikum in Bewegung ist –, kann der Einsatz einer Personenführungsanlage, auch «Bidule» genannt, sinnvoll sein. Der Dolmetscher spricht dabei die Übersetzung in ein Funkmikrofon, und die Teilnehmenden empfangen sie über drahtlose Kopfhörer. Diese Lösung lässt sich mit geringem technischem Aufwand einsetzen, ist jedoch auf maximal 20 Teilnehmende beschränkt.

 

Verhandlungsdolmetschen: Geschmeidige Richtungswechsel

So wie Flüsterdolmetschen eine Variante des Simultandolmetschens ist, lässt sich das Verhandlungs- oder Gesprächsdolmetschen als eine Form des Konsekutivdolmetschens einstufen. Die Teilnehmenden sprechen für eine gewisse Zeit in ihrer Sprache und geben dann der Dolmetscherin Zeit, das Gesagte in die Sprache des Gegenübers zu übersetzen. Das Besondere daran ist, dass der Übersetzer anschliessend auch wieder die Antwort übersetzt und also laufend die Übersetzungsrichtung wechselt – man spricht auch von «bilateralem Konsekutivdolmetschen».

 

Wie arbeitet ein Dolmetscher?

Im Gegensatz zum schriftlichen Übersetzen muss beim Dolmetschen die Recherchearbeit im Voraus geleistet werden: Die Dolmetscherin bereitet sich auf ihren Einsatz vor, indem sie zum Beispiel einen Kunden und seine Produkte recherchiert oder die aktuellen Nachrichten zum Thema einer Konferenz in Ausgangs- und Zielsprache studiert. Dabei notiert sie sich auch gleich neue Terminologie und sucht nach den fachlich korrekten Übersetzungen.

Beim Konsekutivdolmetschen spielt eine effiziente Notizentechnik eine zentrale Rolle: Jedes Wort aufzuschreiben liegt selbstredend nicht drin, und auch Stenografie wäre noch zu langsam. Konsekutivdolmetscher verwenden stattdessen Zeichnungen und Symbole, um die zentralen Begriffe einer Rede schnell zu Papier zu bringen und dabei auch gleich zueinander in Beziehung zu setzen. Das hilft auch dabei, die Übersetzung in hörfreundlicher freier Rede vorzutragen, anstatt sie vom Blatt abzulesen. Einen Eindruck von der Notizentechnik einer Konsekutivdolmetscherin vermittelt ein Video der Universität Mainz auf YouTube.

 

CAI statt CAT: Tools für computergestütztes Dolmetschen

Die Hürden für Computer-Assisted Interpreting (CAI) Tools liegen etwas höher als bei den gebräuchlichen CAT-Tools. Die erste Frage, die ein CAT-Tool stellt, wenn es aus dem Festplattenschlaf geweckt wird, ist: «Wo ist der Ausgangstext?» Ein CAI-Tool weiss bereits, dass ihm diese Frage nichts bringt, denn der Ausgangstext kommt in seinem Fall in akustischer Form daher. Bisher unterstützt oder erleichtert Computersoftware einige Aspekte des Dolmetschens, zum Beispiel die Glossarerstellung oder die Extraktion

nützlicher Informationen aus vorbereitenden Dokumenten. Erst in jüngster Zeit kommen Fähigkeiten wie automatische Spracherkennung und Terminologieextraktion hinzu.

Von zentraler Bedeutung ist Software dagegen beim Remote Interpreting (RI), bei dem die Dolmetscherin nicht mehr vor Ort sein muss, sondern sich mittels Tools wie Zoom, Teams oder Interprefy zuschalten kann – eine Entwicklung, die sich durch die Coronakrise beschleunigt hat. Simultandolmetschen per Videokonferenz ist allerdings noch einmal deutlich anstrengender und belastender als die traditionelle «Physisch anwesend»-Variante. Spannende Lektüre zu diesem Thema bietet eine Masterarbeit der Universität Graz (PDF).

Welche Erfahrungen habt ihr mit Dolmetschen gemacht? Denkt ihr, dass jede und jeder das lernen kann, oder braucht es eine besondere Begabung? Wir freuen uns auf eure Rückmeldung per E-Mail an freelance@apostrophgroup.ch.

 

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